Hartung-Gorre Verlag
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September
2022
Erhard Roy Wiehn (Hg.)
Tagebücher nicht nur
während der Schoáh
Acht Einführungen als Lesebuch der
Edition Schoáh
& Judaica
1. Auflage 2022. 88 Seiten, € 19,80.
ISBN 978-3-86628-737-2
Inhalt
Erhard Roy Wiehn:
Tagebücher die es in sich haben
Tagebücher nicht nur während der Schoáh
1. Gerda Margarethe Oestreicher-Laqueur: Gerdas Tagebücher
1918-1945
Niederlande-Literatur in den Edition Schoáh & Judaica
2. Volkmar Felsch:
Otto Blumenthals Tagebücher
Theresienstadt-Literatur in der Edition Schoáh & Judaica.
3.
Friedel Bohny-Reiter: Camp
de Rivesaltes 1941
Frankreich-Literatur in der
Edition Schoáh & Judaica
4. Wolf Rosenstock: Aus dem Lager
Dschurin 1941-43
Bukowina-, Rumänien-, Sibirien-,
Ukraine-Literatur in der Edition
5. Mirjam Korber
Bercovici: Deportiert 1941-1944
Rumänien-, Sibirien-,
Ukraine-Literatur in der Edition Schoáh & Judaica
6. Felix H. Oestreicher:
Ein jüdischer Arzt-Kalender 1943-45
Bergen-Belsen-Literatur in der
Edition Schoáh & Judaica
7. Desider
David Fischer: Bunkerblätter 1944-1945
Slowakei-Literatur in der Edition
Schoáh & Judaica
8. Zwi Helmut Steinitz: Jüdisches
Tagebuch 2010
Zwi Helmut Steinitz-Literatur in
der Edition Schoáh & Judaica
Anhang: Wiehn/Wiehn: Tagebuch einer Israelreise 1965
Aus dem Vorwort von
Erhard Roy Wiehn:
In
chronologischer Ordnung der Tagebücher kurze Ausschnitte daraus zur Einführung:
1) Gerda Margarethe Oestreicher-Laquers
(1906-1945)
Tagebücher lesen sich wie gestern geschrieben und spiegeln nicht nur das
tragische Schicksal einer gutbürgerlichen deutschen Familie jüdischer Herkunft
in Deutschland und Holland 1918–1939–1945, vielmehr reflektieren sie einmal
mehr auch die monströsen Verbrechen des deutschen NS-Terrorregimes und seine
Verheerungen in Deutschland, in den Niederlanden und in ganz Europa (hier S. 11
ff.).
2) Otto Blumenthals (1876–1944) Tagebücher mit mehr
als eineinhalb tausend Einträgen von Sonntag 1. Januar 1939 bis Donnerstag 22.
April 1943, über vier Jahre und vier Monate also, notiert er akribisch Tag für
Tag von morgens bis abends oder nachts alle Ereignisse, die ihm wichtig
erscheinen und dokumentiert damit sein eigenes Schicksal, das Schicksal seiner
Frau und Familie sowie das vieler Leidensgefährten in der Nazidiktatur, ohne
dabei die vielen mutigen Menschen zu vergessen, die immer wieder zu helfen
versuchten (hier S. 21 ff.).
3) Friedel Bohny-Reiter
(1912-2001) kommt als junge Schweizer Kinderschwester in das südfranzösische
Camp de Rivesaltes, beginnt ihr Tagebuch am 11.
November 1941, das sie bis 25. November 1942 führt, also während der schlimmsten
Zeit des Lagers überhaupt. Sie beginnt ihre Arbeit bei verheerendem Dauerregen
und Kälte, das Lager verwandelt sich in eine frierende "Wasserstadt"
(S. 42), und am ersten Tag, dem 12. November 1941, notiert sie: "Mit offenen
und geschlossenen Augen - ich sehe nichts als große, hungrige Kinderaugen und
leidgefurchte Gesichter mit verbitterten Zügen – und dann wieder
Kinderaugen…" (S. 37, 95) – 14. November 1941: "Das Traurigste ist
immer das Krankenrevier der ganz Kleinen." (S. 35) (Hier S. 27 ff.)
4) Wolf Rosenstock (1909-1990) "Denn
unsere Lage hier, ungewöhnlich und arg wie sie ist", schreibt Wolf Rosenstock
in seinem Eintrag vom Samstag, 31. Januar 1942, "verdient es nicht, wie
ich glaube, als etwas Geschichtsloses und Geschichtsunwürdiges im Schlund der
Vergessenheit zu verschwinden. Die Geschichte unseres "Gules
([Golá ]Exil) Dschurin"
soll, wie ich meine, auch künftigen Generationen etwas zu sagen haben. (…)
Immerhin meine ich, wird es für die Überlebenden (…) gewiss nicht uninteressant
sein, mal wo nachlesen zu können, wie wir durch
die Wüste Dschurin hindurchgegangen sind, was wir
uns dabei für Gedanken gemacht haben." (31. Januar 1942, S. 29; hier S. 39
ff.)
5) Dr. med. Mirjam Korber
Bercovici (geb. 1923): "Es ist seither so vieles geschehen, dass ich glaube, heute
einen objektiven Überblick über all das Vergangene und so schwer Erlebte jener
Zeit haben zu können. Eigentlich handelt es sich im folgenden
nur um einige von vielen Erlebnissen eines Mädchens jener Zeit, das brutal aus
seiner Umwelt, aus Elternhaus und Heimat herausgerissen, von Verwandten und lieben
Freunden, von gewöhnlichen Beschäftigungen wie Schule, Literatur, Klavierspiel
und anderem abgeschnitten wurde. Es ist sicher, dass es unzählige
Aufzeichnungen dieser Art und vielleicht wertvollere geben dürfte, aber jede
einzelne hat ihre eigene Bedeutung. Natürlich ist hier nicht die Rede von Literatur,
sondern von einem Zeitzeugnis aus einer schrecklichen Zeit." ( Hier S. 47
f.)
6) Dr. med. Felix Hermann Oestreichers (1894-1945) akribischer Arzt-Kalender
enthält insgesamt 459 Einträge, 37 für die Zeit ab 01.11.1943 in Westerbork (im Nordosten der Niederlande), 37 für die Zeit
ab 15.03.1944 im Quarantänelager Bergen-Belsen (bei Celle), 356 für die Zeit ab
21.04.1944 im Sternlager Bergen-Belsen, 13 für die Zeit ab 11.04.1945 im Zug,
16 für die Zeit ab 28.04.1945 in Tröbitz (bei Leipzig).
Man kann sich kaum vorstellen, welch starker Wille und wie viel Energie nötig
waren, diese fast täglichen Tagebucheintragungen über die Zeit vom 01.11.1943
bis 22.05.1945 durchzuhalten (vgl. dazu etwa Tagebucheintrag 11.12.1944; hier
S. 37).
7) Dr. med. Desider
David Fischer (1894-1977) beginnt seine Bunkerblätter-Tagebuch
am 20. Oktober 1944 in Bratislava, worin er nun das schwierige Alltagsleben im
Hüttenversteck in seiner "Budenhistorie" (15.01.1945) beschreibt, die
tausend Sorgen und Nöte, die totale Ausweglosigkeit, welche jedoch niemals in
Hoffnungslosigkeit umschlägt: "Über diese Blätter ergießt sich mein
Herzblut." (05.12.; 06. u. 27.11.; 10. 12.1944). All das wird in vielen
langen Tagebucheinträgen dann aber völlig ausgeblendet, wenn der Autor immer
wieder weite historische, literarische, philosophische, politische und
biblische Exkursionen unternimmt, die ihn alles in allem als eine Art
bekennenden romantischen Sozialisten ausweisen, vermutlich um der allzu
trostlosen Gegenwart wenigstens für eine Weile zu entfliehen (hier S. 49 f.).
8) Zwi Helmut Steinitz (1927-2019) hier
präsentierte Tagebuchauszüge eines weit umfangreicheren Manuskriptes sind eine
ebenso interessante wie wichtige Ergänzung seiner beiden früheren Schriften,
und es erscheint ebenso unglaublich wie beispielhaft, was ein Mensch nach fast
unvorstellbar schrecklichen Erfahrungen in frühester Jugend dennoch aus seinem
Leben machen konnte. Zwar sitzt der Schmerz des Verlustes so tief, dass er
niemals ganz vergehen wird, nur manchmal vielleicht kurzzeitig verstummt, um
jedoch unvermeidlich im-mer wieder zurückzukehren
(hier S. 56).
„Was aufgeschrieben, veröffentlicht und
in einigen Bibliotheken der Welt aufgehoben ist, wird vielleicht nicht so
schnell vergessen.“
(Erhard
Roy Wiehn)
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