Hartung-Gorre Verlag
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S
|
Juli
2021
Erhard Roy Wiehn (Hg.)
Jüdische
Gedenkschriften
der
Edition Schoáh & Judaica
Sechs
Memorials
darunter 80 Jahre Massaker in Kiew Babij Jar 1941
1. Aufl. 2021. 170 Seiten, € 24,80.
ISBN 978-3-86628-717-4
Inhalt
Erhard Roy Wiehn: Erinnern für die Zukunft (1996/2003)
1.
Zum Reichspogrom 1938-2008 –
70 Jahre
danach zum Gedenken
2.
Totengebet 1939-1999 – 60 Jahre Zweiter
Weltkrieg u. Beginn der Schoáh
3.
Oktoberdeportation 1940-1990 –
Gurs 50 Jahre danach zum
Gedenken
4. Die Schoáh von Babij
Jar 1941-1991 – 50 Jahre danach zum
Gedenken
5.
Kaddisch – Totengebet in Polen
1943-1983 – 40 Jahre
Ghettoaufstand
6.
Jüdisches Leben u. Leiden in Konstanz 1964-2014 – 50 Jahre plus
Nachwort: Es gab auch Gerechte (1999)
Aus dem Vorwort von
Erhard Roy Wiehn:
Zu den Gedenkschriften der Edition Schoáh & Judaica
Erinnern für die Zukunft aus jüdischer Sicht
(1996/2003)
(1) Erinnern für die Zukunft: Das Erinnern
sei gewissermaßen die jüdischste aller Beschäftigungen, fand Ruth Klüger:
"Unsere Religion ist in allen Einzelheiten an unser Geschichtsbewusstsein
gebunden, und es ist diese kollektive Erinnerung, die uns überhaupt zu Juden
macht." (R. Klüger 1995, Literatur hier S. 23 f.)
Dieses Erinnern tue weh, meinte am 27. Januar 1998 Präsidentin Rita
Süssmuth anlässlich des neuen deutschen Gedenktages für die Opfer des
Nationalsozialismus im Bundestag zu Bonn: "Es löst Entsetzen aus und lässt
zugleich verstummen und aufschreien. Sich den bedrückendsten Wahrheiten unserer
Geschichte zu stellen, ist aber unverzichtbar. Dazu verpflichten uns die Opfer,
ihre Angehörigen und Nachkommen. Aber es ist auch für uns selbst notwendig, für
den unauflöslichen Zusammenhang von Erinnerungs- und Zukunftsfähigkeit",
so die deutsche Bundestagspräsidentin, und weiter: "Erinnerung ist
anstrengend, aber sie befreit auch. Sie gibt uns Kraft, die Zukunft zu
bestehen. Ein Volk das innehält, das sich bewusst seiner Vergangenheit stellt,
beugt nationalem Wahn und Selbstüberschätzung vor." (R. Süssmuth 1998) -
Aus jüdischer Sicht: "Von Zorn und Trauer erfüllt", schrieb der
israelische Staatspräsident Ezer Weizman Anfang des Jahres 1996 ins Gästebuch
des ehemaligen Konzentrationslagers Sachsenhausen: "Es wird nichts
vergessen. Und wir vergessen nicht." Starke Worte, die wohl einmal mehr so
gesagt werden mussten, und der deutsche Bundespräsident Roman Herzog meinte
damals, beim Besuch in Sachsenhausen sei deutlich geworden, "wie
gegenwärtig die Vergangenheit ist, wie kurz 50 Jahre sind." Noch immer
gilt wohl das Wort des Propheten Jesaja: "Tröstet, ja tröstet mein
Volk!" (40,1-2)
"Erinnerung als Andacht, als devotio: wem
ist es inniger und schmerzlicher vertraut als einem Juden, der sich als Erbe
eines Unglücks empfindet und, wie Martin Buber sagte, als Mitglied einer
Erinnerungsgemeinschaft", schreibt Siegfried Lenz, der mit Manès Sperber darin übereinstimmt dass
Schreiben auch ein Handeln gegen das Vergessenwerden
sei; denn "Vergessen: ein zweiter Tod." Aber auch das könne Gedächtnis
sein: Heimsuchung: "Mein Kollege Amos Oz hat es mir vor Augen geführt.
Wenn Du Israel verstehen willst, sagte er, wenn Du die Seele des Landes
wirklich erfahren willst, dann geh nachts durch die Straßen. In der
sommerlichen Hitze der Nacht schlafen viele Leute auf den Balkonen. Wer still
geht, hört sie in ihren Angstträumen seufzen und stöhnen und wimmern, sie
träumen in mehreren Sprachen, überwältigt von Vergangenheiten, die nicht
aufhören wollen. Das Gedächtnis, das die Delirien der Geschichte bewahrt,
macht, dass die Menschen von neuem erleiden, was sie am Tag vielleicht
überwunden zu haben glauben. Das Gedächtnis - so kommt es mir vor - besteht
darauf, dass sie, und wenn auch nur im Angsttraum, an ihre Zeugenschaft
erinnert werden: Es ist geschehen, alles ist wirklich geschehen, in deinem
wiederkehrenden Schmerz liegt der Beweis." (S. Lenz 1989, S. 50)
"Was es heißt, mit einem getreuen Gedächtnis fortleben zu müssen:
Überlebende von unvergleichbaren Verbrechen, die in deutschem Namen begangen
wurden, haben uns bei ihren Zeugenaussagen einen Eindruck davon vermittelt. Ich
sehe sie noch in den Gerichtssälen, eingeladen und aufgefordert, sich
öffentlich zu erinnern, - unter den Augen des Gerichts, der Zuhörer, ja, auch
unter den Augen der Täter. ... Und ich sehe ihre Furcht und ihre
Fassungslosigkeit, sehe oft genug Tränen. Durch das Gedächtnis befördert, zeigt
sich die Gewalt der Vergangenheit. - Dennoch trotz aller Schwere erhält sich die
Bereitschaft, das, was im Gedächtnis bewahrt ist, wiederzubeleben. Der Grund
dafür ist nach meiner Ansicht nur allzu verständlich; er liegt in der
Erkenntnis, dass ein Schweigen noch weniger annehmbar wäre als der Schmerz des
Erinnerns. Dieses Schweigen - sagte Cornelia Edvardson
- löscht Millionen Ermordete aus - noch einmal. Und sie sagte weiter: An die
wir uns nicht mehr erinnern, die wir in unseren Herzen und Sinnen nicht mehr
lebendig erhalten, die haben niemals gelebt. Wir sind Zeugen, woran wir uns
nicht mehr erinnern und was wir nicht bezeugen, das ist nie geschehen. - ... -
Für mich gibt es einen Zweifel: wenn wir das Gedächtnis preisgeben, wenn wir
uns über die Selbstverständlichkeiten hinwegsetzen, zu denen es verpflichtet,
geben wir politische Moral ebenso preis wie menschliche Gesittung." (S.
Lenz 1989, S. 50)
(2) Erinnern für die Zukunft: Aber wäre
Vergessen denn nicht besser? …
…
„Was aufgeschrieben, veröffentlicht und
in einigen Bibliotheken der Welt aufgehoben ist, wird vielleicht nicht so
schnell vergessen.“
(Erhard
Roy Wiehn)
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