Hartung-Gorre Verlag
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Brigitte Pimpl
Zu sayn a Mentsch - Mensch sein.
Die Geschichte einer Frau.
1. Auflage 2000, 78 Seiten, € 9,20. ISBN
3-89191-253-5
Klappentext: Die
Geschichte der Auschwitz-Überlebenden Sarah Ehrenhalt, die heute in Israel
lebt. - "Eigentlich bin ich ja wohl am Leben geblieben, lebendiges Zeugnis
abzulegen gegen das Vergessen", so sagt Sarah Ehrenhalt, und ihre Freundin
Brigitte Pimpl, ehrenamtliche Mitarbeiterin im Archiv
von Yad Vashem, fasst das authentische Erzählen in
deutsche Sprache. Herausgekommen ist ein nicht umfangreiches, aber umso
sprechenderes Erzählwerk, das auch mehr als ein halbes Jahrhundert
"danach" die Glut der Anteilnahme und der Betroffenheit zu entfachen
vermag. Die Autorin stellt uns einen Menschen vor, dessen unsägliche
Verwundungen nicht zur lebenslangen Neurose und Verbitterung geführt haben,
sondern zu einem Reifungsprozess: Mensch sein in allen Höhen und Tiefen,
beherrscht von der Wärme des Herzens.
Rezension – ausführliche Form
Seit Eugen Kogons Schlüsselbuch "Der
SS-Staat" haben sich die Regale in den Bibliotheken gefüllt mit Büchern
über die Shoah. Fast unüberschaubar ist die Fülle des oft dickbändig Gedruckten, der Dokumente
und Berichte über dieses unikale, monströse Grauen in seiner tausendfältigen
Ausuferung. Aber dann kommt einem - nach einer 50-jährigen Wegstrecke des
Verdrängens und "Aufarbeitens" - ein solches gar nicht umfangreiches,
aber umso sprechenderes Erzählwerk vor die Augen wie diese "Geschichte
einer Frau" von Brigitte Pimpl mit dem Titel
"Zu zayn a Mentsch"
(Mensch sein), verlegt im Konstanzer Hartung-Gorre Verlag. Was da auf nur 76
Seiten den Leser zum Teil atemberaubend in Bann schlägt, nicht zuletzt auf
Grund der prägnant-einfachen Erzählsprache, das vermag auch ein halbes Jahrhundert
"danach" die Glut der Anteilnahme und der Betroffenheit zu entfachen.
Die pensionierte, Ivrith sprechende Lehrerin
Brigitte Pimpl, die heute in Jerusalem lebt und
ehrenamtlich im Archiv der Gedenkstätte Yad Vashem
arbeitete, hatte dort die heute 76-jährige Auschwitz-Überlebende Sarah
Ehrenhalt kennen gelernt und zur Freundin gewonnen. "Eigentlich bin ich ja
wohl am Leben geblieben, lebendiges Zeugnis abzulegen gegen das
Vergessen", so sagt die Auschwitz-Überlebende. Und so ist sie immer wieder
unterwegs - manchmal mit Brigitte Pimpl zusammen -,
hält Vorträge, holt die Bilder heraus aus dem Erinnerungsschacht: in den
Schulen des Landes, vor jungen Soldaten, vor Studenten und Reisegruppen. Sie
stellt dabei nicht ihre Person heraus, sieht sich weder in der Heldinnen- noch
in der Opfer- oder gar Märtyrerrolle. Aber die Angst treibt sie um, das alles
könnte vergessen und in Gedenkritualen versteinert werden. "Von 150
Familienmitgliedern bin nur ich übrig geblieben und mein Cousin Menachem Fchlaks." Deshalb
sieht Sarah das erzählende Tradieren als ihre ureigene, ihr auferlegte Pflicht.
Ein Buch schreiben? "Wie könnte ich, wenn doch meine Muttersprache nicht
Deutsch ist?" Und so erzählt sie einfach ihr Buch, und Brigitte Pimpl verstand es meisterhaft, dieses authentische Erzählen
in deutsche Sprache zu fassen.
Mit 8 Geschwistern ist Sarah im ostgalizischen Przemysl
(s. "Radetzkymarsch"
von Joseph Roth) aufgewachsen, "arm aber glücklich". Humorvoll und
mit Temperament schildert sie vor einer großen Schülerschar, wie schön ihre
Kindheit war.
Durch das Städtchen mit seinen je 20.000 Polen, Ukrainern und Juden
fließt der San, den Hitler und Stalin in jenem Schandpakt zur Trennlinie ihrer
Machtsphären erkoren. Sarahs Familie wohnt auf der "russischen"
Seite. Nach dem Überfall auf Polen erlebt ihre Schwester den ersten Massenmord
an den Juden im deutsch besetzten Teil der Stadt: ,,500 Schüsse - 500 Männer
fielen in die selbst geschaufelte Grube."
1941, 19-jährig, heiratet Sarah - kurz vor dem Krieg gegen Russland.
Kaum überrennen die Deutschen die Grenze, werden im Ostteil der Stadt viele
tausend Juden ins Ghetto gezwungen. Dort bringt sie Avram zur Welt. Monate später flieht ihr Mann aus dem
Lemberger Arbeitslager, um endlich seinen Sohn zu sehen. Kurz darauf muss Sarah
mit ansehen, wie der Ghetto-Kommandant Schwamberger auf dem Hof ihren Mann niederschießt.
"Was hatte er verbrochen? Danach fragte zu dieser Zeit niemand mehr;
Gründe gab es immer..."
Sarah lebt jetzt mit Avram in einem
Kellerbunker-Versteck. Kaum ein Jahr alt stirbt ihr Söhnchen an Auszehrung,
aber sein Tod rettet ihr wundersam das Leben.
Das Ghetto wird stufenweise aufgelöst.
Tausende kommen ins Vernichtungslager Belzec,
darunter Sarahs Eltern und Geschwister. Sie selber landet mit den übrigen in
Auschwitz.
Was sie dort an Unbeschreibbarem, auch an Abenteuerlichem erlebt und
wie sie überlebt, wie sie durch alle Höllentore geht von der
"Selektion" am Anfang bis zum schlussendlichen Todesmarsch im
Januarwinter 1945, bei dem ihr die Flucht gelingt, zusammen mit sechs anderen
"Mädchen", bis dann im Gehöft eines Dorfpriesters die Schrecken und
Ängste allmählich abflauen und ein nochmaliger Kampf um einen neuen Anfang
ihres geschundenen Lebens beginnt - das ist ohne jedes Pathos, aber auch ohne
Umschweife in einer ganz schlichten und wohl gerade deshalb so aufwühlenden
Erzählweise wiedergegeben. Die grauenhaftesten Dinge werden manchmal fast wie
nebensächlich angetippt, eingefügt und der anteilnehmenden Phantasie
überlassen.
Und darin besteht wohl die Besonderheit dieses komprimierten Berichtes:
Hier liegt der Ton nicht zuerst auf der Schrecklichkeit und Einmaligkeit des
Erlittenen - obwohl dies wahrlich nicht ausgespart bleibt. Aber voyeurhafte Sensationslust wird hier nicht bedient.
Brigitte Pimpl will mit diesem Büchlein einen
Menschen vorstellen, der zwar gegen das Vergessen ankämpft: aber seine
unsäglichen Verwundungen münden nicht, wie so oft geschehen, in eine
lebenslange Neurose und Verbitterung. Nein, sie waren für Sarah ein bitter
erfahrener Antrieb in einem positiven Reifungsprozess: "Zu zayn a Mensch" - "in all seinen Höhen und liefen,
beherrscht von der Wärme des Herzens."
Sarah sieht ihre Biographie als ein
„Hinwachsen des zerbrochenen, zerschlagenen, versteinerten Wesens zum
‚Menschsein’“. Denn: "Egoismus oder Selbstaufgabe führten in jenen Zeiten
unweigerlich zum sicheren Ende."
"Warum musste ich überleben?" - dieser Frage, oft von
Schuldgefühlen begleitet im Blick auf die Ungezählten, denen keine Rückkehr
vergönnt war, hat sie sich auch gestellt. Sie war oft nahe daran, Schluss zu
machen, in der Löwengrube sich aufzugeben - "endlich sterben zu
dürfen!" Aber dann fand sie die beseligende Antwort: "Vielleicht muss
ich ja doch am leben bleiben, weil die anderen mich brauchen, jeden Tag und
jede Stunde..." Der Keim der Hoffnung - "ein Mensch sein" zu
können trotz unmenschlichster Erniedrigung -, der ist nicht zu vernichten.
Man legt das Buch mit einem aufschauenden und dankbaren Gefühl aus den
Händen.
Dankwart-Paul Zeller, Tübingen
Brigitte Pimpl u. Erhard Roy Wiehn (Hg.)
Jüdische Kindheit und Jugend in Europa 1933-1945.
Ein Lesebuch.
1995, 171 Seiten, € 14,32. ISBN 3-89191-816-X
„Was aufgeschrieben, veröffentlicht und
in einigen Bibliotheken der Welt
aufgehoben ist, wird vielleicht nicht so schnell vergessen.“
(Erhard Roy Wiehn)
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