Hartung-Gorre Verlag
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Konstanzer Schriften zur Schoah und Judaica
Band 12
Herausgegeben
von Erhard Roy Wiehn
Heinz
Kapp
Revolutionäre jüdischer Herkunft
in Europa (1848-49)
1.
Auflage 2006. 656 Seiten, € 29,80.
ISBN 3-86628-092-0
Aus dem Nachwort des Herausgebers
Nach
jüdischer Auffassung ist die Welt ausschließlich dazu da, durch ihre
Veränderung geheiligt, also verbessert zu werden. Denn die Schöpfung ist zwar
prinzipiell gut, aber nicht vollendet, die Menschheit mitnichten erlöst, die
Welt noch weit von ihrer Vollkommenheit entfernt. Darum sind die Menschen
aufgerufen, an der Vollendung dieser Welt entschieden und tatkräftig mitzuwirken.
*
Im
Zusammenhang des jahrhundertelangen jüdischen Lebens in der Diaspora inmitten
oder am Rande nichtjüdischer Reiche, Staaten und Gesellschaften ist
Sensibilität für andere Lebenswelten, für das Andere anderer Kulturen gewachsen,
für das Soziale schlechthin, und zwar gerade wegen der oft genug aufgezwungenen
Diskriminierung, bisweilen sogar selbstgewollten Distanzierung. Aus der
biblisch-prophetischen Tradition heraus, aber auch aufgrund frühester,
generationenlanger, vielfach wiederholter Erfahrungen der Diskriminierung,
Verfolgung und Vernichtung, entwickelte sich ein besonderer jüdischer Sinn für
Gerechtigkeit – das Grundthema der jüdischen Bibel par excellence -, für
soziale Gerechtigkeit insbesondere gegenüber sozial Schwachen und
Unterprivilegierten, zu denen man ja meist selbst gehörte.
Soziale Gerechtigkeit beinhaltet im Kern die
Vorstellung von der menschlichen Gleichheit aller, die unschwer auf den
Schöpfungsdialog zurückgeführt werden kann, in dem die Gleichheit aller
Geschöpfe als Geschöpfe bereits klar
begründet erscheint. Die Erfahrung des Sozialen als des eigentlich
Zwischenmenschlichen in Gemeinschaft und Gesellschaft gehört ebenso zur
jüdischen Tradition wie die Einsicht in ihre Unvollkommenheit und ständige
Verbesserungsfähigkeit. Judentum ist ein umfassender "Way of Life" im
Streben nach sozialer Gerechtigkeit.
Deshalb dient auch der geschärfte Blick für die Buchstaben, Worte und Sätze der
Bibel zugleich immer der besseren Einsicht in die Elemente des Sozialen in
Gemeinschaft und Gesellschaft, in Wirtschaft und Staat, die stets als
verbesserungsfähig und daher veränderungswürdig erfahren werden, ja eigentlich
überhaupt nur da sind, um verbessert zu werden. Judentum als umfassende
Lebensform im Streben nach sozialer Gerechtigkeit ist eine Lebensweise, die
idealtypisch in einer bestimmten Form von Verhalten besteht, nämlich in
innovativem, wertrationalem, sozialem Handeln, was insofern immer mehr oder
weniger revolutionär ist.
Gerechtigkeit und somit Einung und Einheit
der Welt sind alsdann in einem Handlungsprozeß voranzubringen, bestärkt durch
jene einzigartige Philosophie der Hoffnung, - einem Grundwert des Judentums
überhaupt -, der Hoffnung und Glaubensgewißheit nämlich, daß die bessere und in
sich allseits geeinte und versöhnte Welt noch vor uns liegt, sich in aller
Diesseitigkeit und daher in der Geschichte auf dieser Erde verwirklichen wird,
und zwar durch nichts anderes als durch die gerechteren Taten der Menschen
selbst.
Das bedeutet die Berufung des Menschen zum
Mitvollender der Welt und damit auch zur globalen Verantwortung, nämlich im
Bewußtsein der noch zu vollendenden Einung des Ganzen gemäß göttlicher Weisung,
eine gerechtere, friedlichere, mitmenschlichere Weltordnung herbeiführen zu helfen,
die vielleicht kein Begriff besser charakterisiert als "Schalom".
Judentum ist eine Lebensform in Lebensgemeinschaft mit anderen im Streben nach
sozialer Gerechtigkeit im Sinne eines sozialen Handelns, das auf einen
allumfassenden, ewigen Frieden gerichtet ist.
Die darauf bezogene jüdische Hoffnung ist
nicht wie jede andere, wie irgendeine rational begründete einzelne irdische
Hoffnung: "Die messianische Hoffnung ist die grundlose Hoffnung", so
Margarete Susman, "sie ist - als was sie mit dem steigenden Elend des
Exils, der Diaspora, des Ghetto, immer deutlicher sich enthüllt - eine aller
Wirklichkeit entgegenstehende, eine vollkommen paradoxe." Die Verheißung
der Propheten liegt noch vor uns und ist "der Schlüssel für das seltsame
Rätsel, daß der Jude als der Mensch der gesetzestreue, der konservative Mensch
schlechthin, zugleich der eigentlich revolutionäre, radikale, der reine Mensch
der Zukunft ist. Alle Propheten waren revolutionäre Menschen in tiefstem Sinne,
Menschen der Zukunft, der Idee, sprengende, vorwärtstreibende, erweckende
Menschen." (Margarete Susman, Vom Geheimnis der Freiheit. Darmstadt u.
Zürich 1965, S. 116 u. 139)
*
Heinz Kapp
hat in seiner Studie über "Revolutionäre jüdischer Herkunft in
Europa" 1848/49 dem faszinierenden Phänomen jüdischer
"Revolutionarität" nachgespürt, damit dankenswerterweise eine bislang
eher übersehene Thematik aufgegriffen und ist durch seine Literaturanalyse zu
Ergebnissen gelangt, die durch weitere Forschungen unbedingt überprüft zu
werden verdienen. Den Wert dieser spannenden Pionierarbeit kann man vor allem
darin sehen, was sie thematisiert;
die zahlreichen Zitate können nützlich sein, wo sie das besondere Aroma der
damaligen revolutionären Rhetorik vermitteln. Daß die Frage nach dem eigentlich
und authentisch "Jüdischen" der "Revolutionäre jüdischer
Herkunft in Europa" - dessen Faszination wie Beängstigung und Ablehnung -
noch offen erscheint, mag kritische Diskussionen erst recht beflügeln.
im August
2006 Erhard Roy Wiehn
Das
Buch beschäftigt sich
mit Menschen jüdischer Herkunft, die sich 1848/49 an den revolutionären
Ereignissen in Europa beteiligten, gemeinsam mit Badenern, Berlinern,
Franzosen, Hessen, Pfälzern, Polen, Preußen, Römern, Rheinländern, Sizilianern,
Ungarn, Venezianern und Wienern für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
kämpften, dadurch nicht nur nichtjüdischen Revolutionären ebenbürtig wurden,
sondern sogar Führungspositionen erringen und somit einen spezifischen Beitrag
für die Entwicklung der Demokratie in Europa leisten konnten.
„Die Freiheit
lebt im Grabe fort, bis sie den Sarg sprengt.“ (Ludwig Börne)
Heinz Kapp wurde 1936 in Stuttgart geboren und
lebt mit seiner Frau Karin in Singen am Hohentwiel. Er lernte Elektrokaufmann,
wurde dann Sozialarbeiter, arbeitete als Stadtjugendpfleger sowie für die
politische Jugendbildung in Kassel und auf dem Jugendhof Dörnberg. Von 1970-73
leitete er das größte Frankfurter Jugendzentrum und studierte Pädagogik an der
Johann-Wolfgang-Goethe Universität. Als Diplompädagoge leitete er von 1974-1983
gleichberechtigt mit Theologen die Mannheimer Vogelstang-Gemeinde. Danach war
er am Bodensee für Evangelische Erwachsenenbildung, Kirchlichen Dienst in der
Arbeitswelt und die Männerarbeit verantwortlich.
Seine
Dissertation entstand nach seiner Pensionierung im Zweitstudium der Geschichte
und Soziologie an der Universität Konstanz.
Buchbesprechung
in TACHLESS, Jüdisches Wochenmagazin, Zürich Nr. 21, 25.05.2007
An den politischen und geistigen Kämpfen für Demokratie (Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wie man das seit der Französischen Revolution nannte) in den europäischen Revolutionsjahren 1948/49 waren weit mehr Menschen
jüdischer Herkunft beteiligt, als uns heute
noch bewusst ist. Das neu publizierte
Buch von Heinz Kapp dringt in das
Leben, Streben und Denken von jüdischen
Liberalen und Sozialisten ein und kommt zur Erkenntnis, dass Revolutionäre jüdischer Herkunft der Demokratie in Europa den Weg bereiteten und damit auch die damalige politische Ohnmacht der Juden
überwanden.
Stichworte und Ergebnisse der Untersuchungen: «Jüdischer Geist beflügelt die
demokratische Kultur», «Revolutionäre jüdischer Herkunft
ersetzen Gewalt und Recht» und
«entwickelten eine Kultur der Ebenbürtigkeit».
Dabei werden nicht nur die Gedanken und
Tage von heute noch bekannten
Persönlichkeiten wie Ludwig Borne, Heinrich
Heine, Isaac Adolphe Crémieux, Emma
Herwegh, Berthold Auerbach, Ludwig
Bamberger, Moses Hess, Ferdinand Lassalle
und Karl Marx behandelt, sondern auch
viele weitere jüdische Politiker, Denker
und Kulturschaffende jener Zeit.
Die Fülle von geschichtlichen Quellen und anderen Materialien, die der Verfasser studiert und verarbeitet hat, ist allerdings so groß - das Buch hat rund 650 Seiten -, dass das Werk vor allem als Anregung, Ausgangspunkt und Material für
weitere Forschungen und für Gesamtdarstellungen der einzelnen historischen Persönlichkeiten dienen kann. Aber es bleibt, was der Herausgeber, der durch
seine gewaltige Schriftreihe zur Schoah und Judaica bekannte und verdienstvolle Konstanzer Erhard Roy Wiehn, im Nachwort schreibt: «Nach jüdischer Auffassung ist die Welt ausschließlich
dazu da, durch ihre Veränderung
geheiligt,also verbessert zu werden. Denn
die Schöpfung ist zwar prinzipiell gut, aber nicht vollende t, die Menschheit
mitnichten erlöst, die Welt noch weit von ihrer Vollkommenheit entfernt. Darum sind die Menschen aufgerufen, ein der Vollendung dieser Welt entschieden und tatkräftig mitzuwirken»
HEINZ ROSCHEWSKI
Buchbesprechung
in Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Nr. 11, 13. Juni 2008
Am demokratischen Aufbruch der Jahre 1848/49 waren
in ganz Europa Juden maßgeblich beteiligt. Diese Tatsache arbeitet der Autor an
biografischen Skizzen bekannter (Heinrich Heine, Karl Marx) und unbekannter
(Johann Jakoby; Gerhard Herwegh) politisch aktiver Zeitgenossen heraus. Diese
hofften damals darauf, die spezifische Entrechtung der Juden im allgemeinen
Kampf für Freiheit und Gleichheit zu überwinden. Einerseits bewegte sie die in
jüdischer Tradition verankerte Hoffnung auf Befreiung, wie sie im Exodus des
Volkes Israel aus Ägypten geschah; andererseits durchbrachen sie im gemeinsamen
Kampf für die Emanzipation die räumlichen und mentalen Schranken des Gettos.
Heinz Kapp eröffnet mit seiner Dissertation eine reizvolle Perspektive auf die
jüdische und auch die europäische Geschichte. Eine leserfreundliche Kurzfassung
seiner Gedanken könnte auch ein breiteres Publikum neugierig machen. Lutz
Lemhöfer
Reihe "Shoah" im Hartung-Gorre Verlag
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