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S

2000

 

 

 

 

 

 

 

Bernhard u. Laura Horowitz mit Edith Pomeranz,

Stimmen der Nacht

Gedichte aus der Deportation in Transnistrien 1941-1944.
Vorworte von Andrei Corbea-Hoisie, Elisabeth Rehn

und Erhard Roy Wiehn

Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn

2000, 84 Seiten, € 14,32. ISBN 3-89649-546-1

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aus dem Vorwort von Andrei Corbea-Hoisie

 

"Zuckungen" des "Kreatürlichen"

Theodor Adornos berühmter Satz, in dem behauptet wurde, dass es barbarisch sei, Gedichte nach Auschwitz zu schreiben, galt und gilt noch heute als definitives Urteil über einen von bürgerlichen Werten ernährten Bildungskanon und über dessen mit ihm eng verbundene Sprache, deren klägliches Versagen vor dem absoluten "Grauen" die Nazi-Herrschaft besiegelte. Das "Verstummen", das auf eine exemplarische Art und Weise von Paul Celan, dem Dichter der Todesfuge, probiert wurde, wäre für den Philosophen der "negativen Dialektik" die einzige nach menschlichem Ermessen berechenbare Reaktion auf die Entmenschlichung einer tödlich erkrankten Zivilisation: "Die Sprache des Leblosen wird zum letzten Trost über den jeglichen Sinnes verlustigten Tod."

 

Dieser Nachkriegs-Radikalismus wird jedoch oft mit einer an sich abstrusen Realität des heute rekonstituierten Lager-Alltags konfrontiert. In Auschwitz, in Buchenwald, in Mauthausen und überall in dieser Todeskonstellation gab es trotz allem Menschen, für welche die Hoffnung zum Überleben unmittelbar derjenigen Praxis verbunden war, welche die Tradition der europäischen Zivilisation mit dem Terminus "Kunst" bezeichnete. Man sang, man zeichnete, man dichtete mitten im Inferno, um einen letzten Zusammenhang zu einer unvergesslichen "Normalität" zu bewahren, in der das "Schöne" sich mit dem "Wahren" und "Guten" zu identifizieren schien. Das Trügerische dieser Illusion, - erworben durch eine im Verhältnis zur genuinen Gewalt des "Fortschritts“ heuchlerischen Erziehung, - die Celan (im Gefolge Büchners) in seiner "Meridian"-Rede mit dem "Idealismus und dessen Holzpuppen" verächtlich assoziieren wird, wollte man nicht wahrnehmen und erkennen. In der letzten Szene des Romans Badenheim 1939 des israelischen Bukowina-stämmigen Schriftstellers Aharon Appelfeld versuchen die zur Verschleppung in die Wüste der Gaskammern und der Zwangsarbeit Verurteilten allerlei Spuren ihrer zerbrochenen Welt mitzunehmen, "Zeugen eines Lebens, das um sie herum immer noch stattfand"; man stieg in die Viehwaggons vollgepackt mit Süßigkeiten, aber auch mit Musikinstrumenten oder sogar mit Manuskripten.

 

Die Autoren der in diesem Band veröffentlichten Gedichte gehörten ebenfalls zu denjenigen, die ungeachtet der allseits erniedrigenden Misere der Deportation immer noch an ihrem Bildungsgut hingen. Für diese nach Transnistrien verschickten Czernowitzer Juden, über die das rumänische Antonescu-Regime die Todesstrafe durch Kälte, Hunger und Krankheiten verhängt hatte, blieben die deutschen Verse eines Schiller oder eines Heine, die man als Kind schon in jedem respektablen Haus der Bukowiner Hauptstadt auswendig lernen mußte, der letzte Inbegriff einer "kulturellen" Menschenwürde, an der man festhielt - wider die Bedenken gegen die "Sprache der Mörder", die der junge Paul Celan gerade in jenen Jahren formulierte, indem er das eigene Selbstverständnis als deutschsprachiger Dichter in Frage stellte: "Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim - den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim?" Es scheint, als ob diese Menschen, die im transnistrischen Berschad jeden Tag um ihr Leben bangen, ihr Schicksal literarisch "in Szene setzen", um sich von ihm zu distanzieren; seine "poetisch" sublimierte Erzählung, einschließlich des Spiels der von Tragik umringten Humoresken, deren komische Quelle gerade in der Wertlosigkeit der bürgerlichen Werte, im bloßen Überlebenskampf besteht, - wäre eine letzte und verzweifelte Möglichkeit, ihm zu entkommen oder wenigstens die "Endlösung" von einem Tag auf den anderen zu verlegen.

 

Auch wenn diese Texte "ästhetisch" nicht sehr viel bedeuten, sind sie in letzter Instanz Zeugnisse der von Celan evozierten "Zuckungen" desjenigen "Kreatürlichen", das man an einem gewissen "20. Jänner" zu vernichten trachtete. Und eben dadurch und deswegen sind sie auch wichtig...

 

Anfang April 2000

 

 

„Was aufgeschrieben, veröffentlicht und in einigen Bibliotheken der Welt aufgehoben ist, wird vielleicht nicht so schnell vergessen.“ (Erhard Roy Wiehn)

Weitere Titel über die Verbannung in Transnistrien

Jüdische Überlebens- und Nichtüberlebensschicksale aus Rumänien

herausgegeben von Erhard Roy Wiehn

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