Hartung-Gorre Verlag
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Andreas
Meckel
"der Gerechtigkeit
freien Lauf zu lassen"
Die Justizmorde an Oskar Löwenstein
und Marianne Golz
durch das Sondergericht Prag 1943
Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn
Konstanz 1. Aufl.
2009; 150 Seiten, EUR 16,80.
ISBN 3-86628-240-0, 978-3-86628-240-7
Aus
dem Vorwort des Herausgebers Erhard Roy Wiehn
"Erinnerung lebt von der
Unmittelbarkeit und Authentizität der Eindrücke", fand Bundestagspräsident
Norbert Lammert in seiner Rede am 27. Januar 2009 vor dem Deutschen Bundestag
in Berlin: "Wenn ein Überlebender seine persönliche Geschichte erzählt,
tritt aus der unvorstellbaren Dimension abstrakter Opferzahlen das einzelne,
menschliche Schicksal hervor. Die Konfrontation mit dem Leid des Einzelnen
sprengt ritualisierte Formen des Gedenkens." Der Bundestagspräsident
verwies auch auf die Bedeutung authentischer Zeugnisse aus der Zeit der
nationalsozialistischen Diktatur, "in denen die Stimmen der Opfer, ihre
Verzweiflung, ihr Hoffen, ihre Hilflosigkeit gegenwärtig bleiben."
Dies gilt sicherlich auch für Berichte
über Schicksale von Opfern, die selbst nicht mehr sprechen können, weil sie
damals scheinbar für immer zum Schweigen gebracht wurden, und es gilt daher
speziell für Andreas Meckels vorliegende Rekonstruktion der Strafprozesse gegen
und Todesurteile für Oskar Löwenstein und Marianne Golz, bei denen furchtbare
Juristen - "Im Namen des deutschen
Volkes" - "für Recht erkannten", - "der Gerechtigkeit
freien Lauf zu lassen", was zu diesen und zahllosen anderen schändlichen
Justizmorden führte. Ein Staatsanwalt schrieb im Fall Oskar Löwenstein:
"Ich schlage daher vor, vom dem Gnadenrecht keinen Gebrauch zu machen und
der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen." (S. 53) Und der
Generalstaatsanwalt bestätigte das Todesurteil mit den zynischen Worten seines
Kollegen: "Ich schlage daher vor, der Gerechtigkeit freien Lauf zu
lassen." (S. 55) Das war die perverse Gerechtigkeit eines
"entarteten", pervertierten Rechtes, des Rechtes nicht unabhängiger,
menschenrechtsorientierter, moralischer Richter, sondern von ideologischen, an
den "Führerwillen" gebundenen Henkern in Richterroben mit dem Hakenkreuz
(S. 137), von erbarmungslosen, kaltblütigen, ungerührten Schreibtischtätern,
die ihr Handwerk anscheinend jedoch für völlig normal hielten und auch deshalb
später nicht belangt wurden, zumindest nicht in Westdeutschland, denn:
"Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein." (Hans
Filbinger, damals Marine-Richter und 1966-1978 Ministerpräsident des Landes
Baden-Württemberg)
Aus
der Danksagung des Autors Andreas Meckel
Dem verdienstvollen und leider
vergriffenen Buch "Der verwaltete Mensch" von H. G. Adler verdanke ich
den Hinweis auf das Schicksal von Oskar Löwenstein, dem ich in diesem Buch
nachgegangen bin. Dabei stiess ich auf
Veröffentlichungen über Marianne Golz, die mich
veranlassten, sie im zweiten Teil dieser Arbeit zu würdigen.
Rezension in Freiburger Rundbrief Neue
Folge 2/2010, Seiten 145-146.
"Der
Dolch der Mörder war unter der Robe der Juristen verborgen." Mit diesem
drastischen Bild brachte der amerikanische Chefankläger Telford
Taylor 1947 im Nürnberger Urteil gegen das Oberkommando der Wehrmacht die
todbringende Rolle der Justiz in der NS-Zeit auf den Punkt. Der Dolch der
Mörder in der Robe war beispielsweise gezückt, wenn die Richter und
Staatsanwälte die wohlklingende Formulierung verwendeten, "der
Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen". Gemeint war damit die Empfehlung,
die verhängte Todesstrafe zu vollstrecken. Andreas Meckel, der
Freiburger Wirtschaftsmanager und engagierte Verfechter einer demokratischen
Erinnerungskultur, führt in das Thema seines Buches folgendermaßen ein:
"Dies
ist die Geschichte von Oskar Löwenstein aus Prag, der den Mördern in braunen
Uniformen entkommen wollte und von solchen in schwarzen Roben schließlich
umgebracht wurde, und von Marianne Golz, die durch
die unmenschlichen Richter des Sondergerichts Prag das gleiche Schicksal
erlitt. Fast wäre die Flucht von Oskar Löwenstein aus Prag in die rettende
Schweiz geglückt. Doch er übersah, dass ihm ein Stempel fehlte - ein
Versäumnis, das ihn schließlich das Leben kostete. Denn nun bemächtigten sich
furchtbare Juristen seiner."
Der jüdische
Ingenieur Dr. Oskar Löwenstein fühlte sich unmittelbar von der Gefahr
bedroht, in das KZ Theresienstadt deportiert zu werden, wohin man seine Frau
und seinen Sohn bereits verschleppt hatte. Mit Hilfe seiner Freundin Marcelle Yung, seit 1938 als
Sprachlehrerin in Prag tätig, die ihm ihren Schweizer Pass zur Verfügung
stellte, unternahm er es, in die Schweiz zu fliehen. An der Grenze entdeckten
deutsche Beamte die Passfälschung und verhafteten Löwenstein. Tausende anderer
jüdischer Flüchtlinge, die an der Schweizer Grenze abgewiesen wurden, landeten
unmittelbar in einem der Vernichtungslager. Wegen seiner Verbindung mit einer
Schweizer Staatsbürgerin, die nun in Prag ebenfalls verhaftet und angeklagt
wurde, erfuhr Löwenstein besondere Aufmerksamkeit. Die beiden Fälle sollten
offenbar so behandelt werden, dass der Schein des Rechts gewahrt wurde.
Löwenstein wurde ausgiebig verhört, formell angeklagt, vor die "IH. Kammer
des Sondergerichts beim deutschen Landgericht in Prag" gestellt und von
diesem zum Tode verurteilt, obwohl er niemandem einen Schaden zugefügt hatte.
Zur Begründung bemühten die Richter das Konstrukt, Löwenstein habe nach
gelungener Flucht beabsichtigt, "reichsfeindliche Handlungen" zu
unterstützen. Für Meckel handelt es sich um einen klaren Fall von
Rechtsbeugung, genauer gesagt, um einen Justizmord. Die "arische"
Angeklagte Marcelle Yung
kam mit einer Zuchthausstrafe von drei Jahren davon.
Die aus Wien
stammende Operettensängerin und Schauspielerin Marianne Golz war eine
schöne, ungewöhnlich begabte, starke und mutige Frau. Sie leistete tätige
Fluchthilfe für verfolgte Juden, indem sie diese in ihrer Wohnung unterbrachte,
ihnen neue Identitäten mittels gefälschter Papiere besorgte, ihnen Geld und
Lebensmittel beschaffte und sie über die Grenze schmuggelte. Dabei wurde sie
ertappt, geriet in die Fänge der Prager Sonderjustiz und wurde von dieser zum
Tode verurteilt mit der Begründung, ,,[ ... ] wegen Begünstigung von
Reichsfeinden". Der Staat Israel ehrte im Jahre 1988 Golz
für ihre Hilfeleistungen posthum als "Gerechte unter den Völkern".
Wie für
jedermann ersichtlich, waren die Handlungen der beiden beschuldigten NS-Opfer
nichts Verwerfliches, zumindest nicht aus heutiger Sicht. Aus der Sicht der
ideologisch verblendeten NS-Juristen hatten sie jedoch todeswürdige Verbrechen
begangen. Die Zellen der beiden unglücklichen Opfer im Gefängnis in
Prag-Pankraz lagen nahe beieinander. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass
Löwenstein und Golz sich je begegnet sind. Das Schicksal
der beiden NS-Verfolgten wurde verbunden durch die gnadenlose
Todesstrafenpraxis des deutschen Sondergerichts in Prag. Beide Verurteilte
ereilte der Tod durch das Fallbeil Ende 1943. Für den Henker Johann Reichhart handelte es sich um tägliche Routine, lieferten
ihm die deutschen Blutrichter doch bis Kriegsende nicht weniger als 3000
Menschen zur Exekution an. Mit wachsender Empörung verfolgt Meckel das Treiben
der damaligen Sonderjustiz, das noch heute blankes Entsetzen auszulösen vermag.
Darüber hinaus interessiert er sich für die Unbußfertigkeit der NS-Juristen und für ihre erstaunlichen
Karrieren nach 1945. Dabei nennt er "Ross und Reiter", also Namen und
Positionen.
Das Buch
wurde veröffentlicht in der verdienstvollen "Edition Schoah", die seit
1997 im Hartung-Gorre Verlag von Erhard Roy Wiehn
herausgegeben wird und vergessene Opfer ins Kollektivgedächtnis zurückholen
will. Dazu hat Andreas Meckel einen wertvollen Beitrag geleistet.
Wolfram
Wette, Waldkirch
Link zur Rezension in der Badischen
Zeitung vom 23.6.2010
„Was aufgeschrieben, veröffentlicht und
in einigen Bibliotheken der Welt aufgehoben ist, wird vielleicht nicht so
schnell vergessen.“
(Erhard
Roy Wiehn)
Weiterhin aktuell sind die folgenden
von Erhard Roy Wiehn herausgegebenen Titel:
Jüdische Überlebens- und Nichtüberlebensschicksale in
Deutschland
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