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Beschreibung: 3896499203

 

Hans Munk,

Theresienstadt in Bildern und Reimen.

Kommentiert von Jehuda Manor alias Peter Munk.
43 Aquarelle, viele Fotos

Konstanz 2004, 195 Seiten, 24,80 €.
ISBN 3-89649-920-3

Rezension des Buches in „Freiburger Rundbrief“, Nr. 3, 2008 auf den Seiten 213-215:

In dieser eindrucksvollen Edition wird der Öffentlichkeit ein seltener Familienschatz über das Getto Theresienstadt zugänglich gemacht. Der "Autor", Hans Munk, Jg. 1898, entstammte einer Familie von Textilfabrikanten aus dem tschechischen Frydek (Nordmähren, westliche Beskiden), an dessen jüdische Gemeinde heute nur noch der verwüstete Friedhof erinnert. Hans Munk wurde am 13. Juli 1943 zusammen mit seiner Frau Edith von Prag aus nach Theresienstadt eingeliefert, wo er als ehemaliger k. u. k. Offizier bei der Gettowache Dienst tat. Zwei Tage vor seiner Deportation nach Auschwitz am 29. September 1944 hinterließ er seiner Frau insgesamt 43 Aquarelle und zwei Hefte mit 77 durchnummerierten Reimen, die hier erstmals veröffentlicht und von seinem Sohn Peter (alias Jehuda Manor) kommentiert werden. Dieser war im Alter von 12 Jahren ab Oktober 1939 im damaligen Palästina bei einem Bruder des Vaters in Sicherheit gebracht worden. Als einer der ersten Piloten und Berufsoffiziere in Israel stellte er sein Leben in den Dienst der Sicherheit des neugegründeten Staates und widmete sich erst wieder 60 Jahre nach den Ereignissen in Theresienstadt der Überlieferung seines Vaters. Dieser war von Auschwitz nach Dachau verbracht worden. Er starb am 20. Februar 1945 an den Folgen einer Blutvergiftung. Seine Frau Edith überlebte. Ihren "Judenstern" bewahrte der Sohn auf und bildet ihn im Buch (27) ab.

Hans Munk bezeichnet seine Reime als Kurz-Geschichten und sieht sich selbst als Sehenden - nicht als Seher. Gleichwohl finden sich immer wieder Verse, aus denen der Seher spricht: Er beschreibt die Abgründe und Gebrochenheit der menschlichen Existenz in der trostlosen Enge und Ausweglosigkeit des Gettos: wie dort die Opfer selbst teilhaben an der Organisation des Bösen, um die eigene Lage relativ "besser" zu gestalten; wie der schmerzhaften Entfremdung von der eigenen Ehefrau melancholische Einsamkeit inmitten der Massen folgt (26, 175). Auf der anderen Seite leuchtet die Sehnsucht der Mütter nach dem Wiedersehen mit den Kindern, die ihr eines Tages "Tee oder Schokolade" anbieten werden (73), strahlt das hart er­kämpfte Glück einer jungen Mutter über die "erlaubte" Geburt eines Jungen, um sogleich zerbrochen zu werden: "Nach sieben Tagen war er rosig rot - am achten Tage aber war er tot" (106).

Die eigene Erinnerung an die Heimat verdichtet sich im Traum von der Rückkehr ins Vaterhaus. Sie wird jäh abgebrochen von der Erkenntnis, auch bei einem Überleben alleine in einem kalten, weil entleerten Haus anzukommen - so kehrt der Traumwandler traurig um und zurück nach Theresienstadt, "welches was Anziehendes für mich hat" (159). Dort aber verdüstern über den täglichen Trauerzügen die krächzenden Krähen den Himmel (122). Dahinter ist selbst Gott nicht mehr zu erahnen. Er mag dem Kinde das Leben gegeben haben - dieses aber wollte und konnte hier nicht leben (106).

Ergreifend sind ein Gedicht und Bilder für ein zum "Transport" (nach Auschwitz) eingeteiltes Mädchen. Es wollte extra für sie gemalte Bilder mit Visionen eines schönen Haushalts mit Staubsauger und des Vergnügens mit einem eigenen Hund nicht haben, weil es solches in Theresienstadt nicht kannte - und daher nur mit seiner Puppe auf "Transport" ging. Anklagend formulieren die Schlussverse den Widersinn des Geschehens und stellen, wenn auch verhalten, so doch hintersinnig, die Frage nach dem Scheitern Gottes: "Und solltest du im Himmel schweben, was soll dir dann - Gott im Himmel geben? Er gibt dir vielleicht einen Heiligenschein! Nur, du wolltest keine Heilige sein, - Deine Veranlagung war- zum Mütterlein!" (82).

Weitergehende, konkrete Bezüge zu religiöser Praxis im Getto finden sich nicht in den Gedichten. Außer Zweifel steht dennoch, dass der Schreiber und Maler den Verrat des Menschen am Menschen vor Gott bringen will. In der Figur des Erzengels Gabriel, des Fürsprechers und Beschützers Israels, lässt er die göttliche Weisheit selbst Theresienstadt in Augenschein nehmen. Dem Engel wird eine eigene Wohnstätte in dem durch den Tod eines Freundes frei gewordenen dritten Stockwerk eines Pritschen-Bettes zugewiesen. Nun kann der Bote Gottes alles selbst erleben und seinem Herrn die Treue des jüdischen Volkes zu seinem Gott bescheinigen - obwohl gerade dieser Sein Volk allem Anschein nach in der Vorhölle von Theresienstadt verlassen hat. Des Engels vermeintliche Gewissheit, "Das Volk da ­kann nicht untergeh'n!" (21), steigert sich in einer Art Schlusswort im Mai 1944 gar zur optimistischen Erwartung eines "Happy End" (176), das dem Verfasser der Reime, wie vielen anderen, vorenthalten bleibt und auch den Zustand der ca. 19000 Überlebenden (von insgesamt ca. 140000 nach Theresienstadt Eingelieferten) kaum angemessen kennzeichnet.

Neben solchen Reflexionen über einen möglichen "Sinn unserer Plage" (176) befassen sich Munks Reime mit der schon vor der Deportation einsetzenden Bedrängnis (der Judenstern mit einem Gewicht von kaum einem halben Gramm wird zur unerträglichen Last, 24) oder den unwürdigen Lebensbedingungen in den "Ubikationen" der dreistöckigen Bretterpritschen. Der unbändige Geist des Militarismus stellt alle Erfindungen in den Dienst des Krieges, der Menschen- und vor allem der Judenvernichtung (67), lässt den Feldherrn große Hallen bauen und weist den verdienten Invaliden des Weltkrieges statt der erhofften Wohnung im "Walhall" das Elend in Theresienstadt zu (134). Die 43 Aquarelle zeigen typische Teile der Festung Theresienstadt (z. B. Wälle und Gräben, Gemüsegarten für die SS, verordnetes Sonnenbad, die "Schleuse" zur Regulation der Neuankömmlinge, Dienst an der Wache). Kaum erkennbar ist das gemeinsame Leben der Kinder in deren "Heimen", das Gedränge der Massen oder das Leid der Kranken und Sterbenden. Ohne Kenntnis der Hintergründe strahlen die Bilder gar etwas Idyllisches aus - vor dem Hintergrund der wahren Zustände allerdings entwerfen sie eine abgründige Ästhetik des Grauens. Ergänzt ist der Band durch eine bebilderte Skizze zur Familiengeschichte und zur Biografie des kommentierenden Sohnes im Dienst der Israel Air Force.

So tritt uns im Buch ein Mann in der Mitte seines Lebens vor Augen, das jäh unter- und schließlich abgebrochen wurde. Trotz der über Verwandte und Freunde erhaltenen Verbindung von außen konnte er seine Sorgen und Ängste, seine Erfahrungen und Hoffnungen nicht nach draußen mitteilen. Es blieb ihm alleine möglich, seine Gedanken den Gedichten und Bildern anzuvertrauen und sie vor seiner weiteren Deportation nach Auschwitz seiner Frau zu hinterlassen. Wenn nun der Sohn das Zeugnis seines Vaters der Öffentlichkeit übergibt, so ehrt er ihn und die von ihm im Angesicht des Todes bewahrte Würde. Wir aber blicken in den Spiegel der Geschichte und erkennen, wie Menschen - nicht Außerirdische! - der Macht des Bösen dienten und schuldig wurden. Diese Wahrheit kann kein Nebel der Gedankenlosigkeit mehr verschleiern. Das nützt selbst den Vergesslichen - denn auch sie bekommen es zu spüren, wenn die Idee des Menschlichen zerstört wird.

Joachim Maier, Schriesheim

 

„Was aufgeschrieben, veröffentlicht und in einigen Bibliotheken der Welt aufgehoben ist, wird vielleicht nicht so schnell vergessen.“
(
Erhard Roy Wiehn)

 

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