Hartung-Gorre Verlag
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Israel A. Glück
Kindheit in Lackenbach
Jüdische Geschichte im Burgenland.
1998, 83 Seiten, € 16,80. ISBN 3-89649-370-1
Aus dem Vorwort von Israel
A. Glück:
Von der Erde verschwunden
Das sogenannte "Schtetl", das jüdische
Viertel in den Ortschaften Osteuropas, wurde noch während seines Bestehens
wiederholt verewigt: in der Literatur, der Poesie, im Theater, im Film, sogar
im Musical - wer kennt nicht "Fiedler auf dem Dach" ('Anatevka')? Obwohl der Holocaust dieser traditionellen Form
jüdischen Lebens in seiner bisherigen Heimat ein jähes Ende bereitet
hat, ist es in ähnlicher Form andernorts wieder auferstanden - zum Beispiel in
den USA und in Israel.
Aber das Schtetl, von dem ich hier erzählen
will, besteht nicht mehr. Es ist 1938 endgültig von der Erdoberfläche
verschwunden. Jahrhundertelang blühte es im Burgenland, der östlichsten Provinz
Österreichs. Die ersten jüdischen Gemeinden erstanden dort nach Vertreibung der
Juden aus anderen Teilen Österreichs und Ungarns bereits im 16. Jahrhundert.
Sieben davon - Eisenstadt, Deutschkreuz, Frauenkirchen, Kittsee,
Kobersdorf, Lackenbach und Mattersburg - standen unter. dem Schutz des Fürstenhauses
Esterhazy. Sie erlangten im Laufe der Zeit weltweite Anerkennung als Zentren
jüdischer Kultur. Unter dem Einfluß der berühmten
deutschen Rabbiner Israel Hildesheimer und Samson Raphael Hirsch erstrebten sie
weltliche Bildung, ohne jedoch ihre tiefreligiöse Lebensweise aufzugeben. Zu
ihrer Blütezeit - gegen Mitte des 19. Jahrhunderts - zählten sie fast 10.000
Seelen. In Lackenbach stellten sie damals mehr als
die Hälfte der Einwohnerschaft.
Obwohl das Burgenland zu Ungarn gehörte, bedienten sich die dortigen Juden der
deutschen Sprache. Daher kann es nicht verwundern, daß
sie 1921 dessen Angliederung an Österreich (laut Friedensvertrag von Trianon
1920) sehr begrüßten. Die schwere Wirtschaftskrise der Nachkriegsjahre zwang
viele, ihr Auskommen anderwärts zu suchen. Ein Teil übersiedelte nach Wien,
andere ins Ausland. Zur Zeit ihrer Vertreibung 1938 zählten sie kaum noch
4.000. Ein paar Historiker haben über sie geschrieben, es gibt auch vereinzelte
persönliche Berichte, aber kein Film wurde gedreht, kein Theaterstück
inszeniert. Ein kleines Museum in Eisenstadt, ein paar verfallene Friedhöfe -
das sind heute die einzigen Zeugen dieser untergegangenen Epoche.
Was aber unterschied dieses Schtetl so sehr von
dem Osteuropas? Warum ist es nicht wie jenes andernorts wieder auferstanden?
Schwer zu sagen, doch anscheinend war die Anzahl der Überlebenden zu klein, der
Schock der plötzlichen gewaltsamen Vertreibung zu groß. Obwohl ich kein
Historiker bin, will ich versuchen, auf die markantesten Unterschiede
hinzuweisen. Der augenfälligste war wohl die Bekleidung: Die Bewohner des
osteuropäischen Schtetls kleideten sich nicht wie ihre christlichen Mitbürger.
Während sich die Frauen noch ein wenig der gängigen Mode anpaßten,
behielten die meisten Männer ihre traditionelle Tracht. Sie ließen ihre Bärte
wachsen, trugen lange, gewickelte Seitenlocken. Ihre Umgangssprache war
Jiddisch - eine Art Mittelhochdeutsch, das die Christen nicht verstanden -, in
ihren Schulen wurde anders unterrichtet als in den öffentlichen. Sogar
innerhalb ihrer Gemeinden bildeten sie noch meistens separate 'Sekten', jede
mit ihrem eigenen Bethaus, einem spirituellen Oberhaupt - oft einem
'Wunderrabbi'. Was jedoch alle vereinte, war die haßvolle
Gesinnung ihrer Nachbarn, der Umgebung, der unverhohlene Antisemitismus der
Landesbehörden.
Im Gegensatz zu ihren osteuropäischen Glaubensgenossen kleideten sich die
burgenländischen Juden wie ihre christlichen Mitbürger, trugen dieselbe
Haartracht - abgesehen von den Perücken der verheirateten Frauen. Sie sprachen
nicht jiddisch sondern deutsch - meistens ein besseres als die örtliche
Bevölkerung. In ihren Schulen wurde dasselbe unterrichtet wie in den
öffentlichen - mit Ausnahme des Religionsunterrichts. Jede ihrer streng
religiösen Gemeinden besaß nur einen Rabbiner und betete in einem gemeinsamen
Gotteshaus. Der Schabbat und die jüdischen Feiertage
wurden streng eingehalten - eigentlich prägten sie das Leben dieser Menschen.
Obwohl Antisemitismus auch hier nicht unbekannt war, sahen sie in ihren
christlichen Mitbürgern nicht Feinde. Sie betrachteten sich durchwegs als
loyale Untertanen der Österreichisch- Ungarischen Monarchie - später der
Republik Österreich.
Unmittelbar nach dem Anschluß
Österreichs an Nazi-Deutschland wurden die Juden brutal aus ihrer Heimat
vertrieben, ihre Häuser samt Inhalt, ihre Geschäfte, ihr Vieh wurden
beschlagnahmt - "arisiert". Sehr bald konnte das Burgenland als
"judenrein" erklärt werden, und so ist es bis zum heutigen Tag
geblieben - mit ein: paar unbedeutenden Ausnahmen; denn von den wenigen, die
den Holocaust überlebten, kehrte niemand in seine frühere Heimat zurück. Ein
Teil emigrierte nach Israel, der Rest suchte sich ein neues Exil.'
Ich kann hier nur von meinen persönlichen Kindheitserinnerungen
erzählen, und zwar in der jüdischen Gemeinde Lackenbach,
wo ich einen wichtigen Teil meiner Kindheit verbrachte. Ich tue es, damit das
wenige, was ich über dieses kleine Stück jüdischer Vergangenheit noch in
Erinnerung habe, den kommenden Generationen nicht vorenthalten bleibt. Und
vielleicht werden diese Geschichten andere dazu bewegen, von ihrem Städtchen
zu erzählen. (Israel A. Glück )
Jüdische Überlebens- und Nichtüberlebensschicksale in
Österreich /Jewish Fates in Austria
bearbeitet
und herausgegeben von Erhard Roy Wiehn
Österreich
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