Hartung-Gorre Verlag
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Bronia
Davidson-Rosenblatt,
Keine Zeit für Abschied
-
Von Polen durch den Ural nach
Samarkand und zurück bis Amsterdam.
Jüdische Schicksale 1933-1956.
2000, 102 Seiten, € 14, 32. ISBN 3-89649-528-3
Bronia Davidson
Vorwort
zur deutschen Ausgabe
Erst spät, als Erwachsene und Mutter,
begriff ich, daß meine Kindheitserlebnisse gar nicht so normal und
selbstverständlich waren, wie ich sie damals empfunden hatte. Als kleines Kind
im Ural und später in Samarkand wußte ich zwar, daß wir nicht freiwillig umgezogen, daß
es keine Ferien waren, wie in Rabka oder Muszyna, und daß es früher einmal
ein besseres Leben gegeben hatte. Aber das Ungewöhnliche und Dramatische
unserer Flucht war mir nicht klar.
Was konnte mir schon
passieren mit der Mutter, der Großmutter, den Onkeln um mich herum und immer in
deren Nähe? Ein beschützender Kreis von Erwachsenen, die Angst, Gefahr und
Hunger von mir fernhielten, Lieder mit mir sangen und die Rückkehr nach Polen
wie ein süßes Versprechen in Aussicht stellten.
Selbst der Tod meines
Vaters und später meiner Großmutter war in diesem engen Kreis noch erträglich.
Die Kette schloß sich, wir waren fest entschlossen,
keine Glieder mehr zu verlieren und ein so alltägliches Leben wie möglich zu
führen.
Durch Kinderaugen
gesehen war das Leben ziemlich normal, jedenfalls wenn man nicht zu genau um
sich schaute, nicht zu viele Fragen stellte und sich danach richtete, was sich
im stillen Kämmerlein, im eigenen Leben abspielte. Das Leben bestand aus diesem
einen Zimmer, der Schule und ein paar Freunden. Es war sogar gemütlich, man war
nie allein.
"Geh
auf dein Zimmer", war ein unbekannter Satz. Es gab nur ein Zimmer.
Kein
Streit um Spielsachen, denn es gab keine Spielsachen. "Das schmeckt mir
nicht", gab es nicht, denn was es gab, war lecker, weil es einfach da war.
Ungewöhnlich und
beängstigend wurde es erst nach der Rückkehr in Polen, - diese Rückkehr, die so
festlich hätte sein sollen und eine solche Enttäuschung wurde. Vor diesem Drama
konnte ich nicht geschützt werden, ich mußte meinen
eigenen Verteidigungsmechanismus einsetzen. Die Onkel gingen ihrer Wege, aber
immer noch war die Mutter da, die alles gutmachte, auch wenn sie ihren
hoffnungsvollen Optimismus verloren hatte.
Vielleicht
war es kein Zufall, daß erst beim drohenden Verlust
meiner Mutter während ihrer jahrelangen Krankheit das Gefühl des
selbstverständlichen Schutzes verlorenging. Sie
konnte mich nicht mehr beruhigen, daß es keine
Geister gab. Damals kamen die Geister zurück.
Mein Bedürfnis, das als so gewöhnlich
erlebte Ungewöhnliche aufzuschreiben, wuchs. Ich wollte die Geschichte meiner
Kindheit als ein ganz kleines Stück der großen, unglaublichen, bizarren
Geschichte weitergeben, anfänglich für meine Kinder, weil meine Geschichte ja
auch ihre Geschichte ist. Später für mehr Menschen, dazu angespornt durch Freunde,
die mir sagten, daß unsere Verbannung in fernen
Orten ein für Niederländer unbekanntes Stück Kriegsgeschichte ist, der Mühe
wert, festgehalten zu werden.
Und jetzt also die deutsche Ausgabe,
für die der Herausgeber mich bat, ein Vorwort zu schreiben. Der Krieg liegt nun
noch etwas länger zurück, seit das niederländische Buch erschien. Der
Leserkreis, der zu der Kriegsgeneration in den Niederlanden und in Deutschland
gehört, die den Krieg mitgemacht hat, ist noch kleiner geworden. Potentielle Leser kommen jetzt aus der zweiten und dritten
Generation, Kinder und Enkel überzeugter oder gezwungener Soldaten.
Mit Opfern wie wir habe ich mein
ganzes Leben zu tun gehabt. Alle Freunde, die in mein Elternhaus kamen, waren
Überlebende mit ihren eigenen Überlebensgeschichten, - fremde Geschichten und
doch vertraut. Es ist einfacher, eine Geschichte jenen Menschen zu erzählen,
die sich mit dem Erzähler identifizieren können als einem Leserkreis, den man
nicht kennt. Daß der Herausgeber meine Geschichte als
Puzzlestückchen des großen Puzzles betrachtet, das wohl nie fertig werden wird,
hat mir gutgetan.
Amsterdam,
im März 2000
Die Erinnerungen von Bronia Davidson-Rosenblatt
ergänzen unsere Bücher über jüdische Schicksale aus
der Sowjetunion / Ukraine, die von Erhard Roy Wiehn herausgegeben wurden:
Jüdische
Überlebens- und Nichtüberlebensschicksale aus Polen/Jewish Fates
Zum Inhaltsverzeichnis
der Edition / to the contents of the edition Shoáh & Judaica
/ Jewish Studies
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