Hartung-Gorre Verlag
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S
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Dezember
2009
Erhard Roy Wiehn (Hg.)
Jüdische Gemeinde Kreuzlingen
70 Jahre
Geschichte, Erinnerungen, Dokumente
1939-2009
1. Aufl. 2009, 208 S.. Softcover: €
14,80, CHF 24,00
ISBN 978-3-86628-271-1
1. Aufl. 2009, 208 S.. Hardcover: €
22,80, CHF 36,00
ISBN 978-3-86628-282-7
Aus dem Vorwort von Erhard Roy Wiehn
70 Jahre Jüdische Gemeinde Kreuzlingen
"Gedenke der vorigen
Zeit bis daher und betrachte, was er getan hat an den alten Vätern. Frage
deinen Vater, der wird dir's verkündigen, deine
Ältesten, die werden dir's sagen." (5 Mose 32,7,
Luther-Übersetzung) 70 Jahre Jüdische Gemeinde in Kreuzlingen (Thurgau) sind wenig im Vergleich zur jüdischen
Geschichte von fast 4.000 Jahren. Doch diese 70 Jahre haben es durchaus in
sich. Die Jüdische Gemeinde Kreuzlingen hatte mit der
Gründung der "Jüdischen Friedhofs-Gemeinschaft" im Jahre 1936 ihren
Anfang genommen, und der Jüdische Friedhof auf der Anhöhe von Kreuzlingen-Bernrain wurde anlässlich der ersten Bestattung
(Rechtsanwalt Dr. Sigmund Fuchs aus Konstanz) am 1. Dezember 1937 eingeweiht.
Schon seit 1934 wurden Gottesdienste in Kreuzlinger
Privatwohnungen abgehalten; als die Konstanzer Synagoge nach einem ersten
Anschlag 1936 dann am 9./10. November 1938 total zerstört worden war, fanden
erste Gottesdienste an den Hohen Feiertagen im Herbst 1938 in Kreuzlingen statt. Die am 23. August 1939 gegründete
"Israelitische Gemeinde Kreuzlingen" (seit
1965 Jüdische Gemeinde Kreuzlingen) hatte die liberal-konservative jüdische
Tradition aus Konstanz übernommen und Erev Rosch Haschana, den Beginn des
jüdischen Neujahrsfestes, sowie Rosch Haschana und Jom Kippur, den Versöhnungstag, im September 1939 (5700) im
neuen Betsaal in der Kreuzlinger Hafenstrasse
gefeiert.
Bis zur Gründung der Kreuzlinger
Gemeinde waren Angehörige jüdischer Familien aus Kreuzlingen
und dem Thurgau Mitglieder der Israelitischen Gemeinde Konstanz, die nach
zeitweiliger Blütezeit zwischen Mitte des 13. und Mitte des 15. Jahrhunderts
und nach jahrhundertelangem Verbot anno 1862/67 wiedergegründet worden war,
ihre repräsentative Synagoge in der Sigismundstrasse
19 im Jahre 1883 einweihen konnte und im Jahre 1910 genau 575 See-len zählte, darunter 90 Schülerinnen und Schüler. Nach
kräftiger Abwande-rung seit Anfang der 1930er Jahre
wurden die letzten 108 Konstanzer Jüdinnen und Juden am 22. Oktober 1940 in das
französische Internierungslager Gurs am nordwestlichen
Fuss der Pyrenäen "abgeschoben", wo manche
durch die unsäglichen Lebendbedingungen schon bald
verstarben. Noch im Herbst 1940 begann die Israelitische Gemeinde Kreuzlingen mit ihrer überlebenswichtigen materiellen und
moralischen Unterstützung der Menschen in Gurs, und
zwar bis Sommer 1942, als die dort noch Verbliebenen nach Auschwitz-Birkenau
deportiert und ermordet wurden. Danach blieb noch viel zu tun für jüdische
Flüchtlinge in der Schweiz, und zwar mit der ständigen Sorge vor einer möglichen
deutschen Invasion der Schweiz, zumindest bis zum Jahre 1943. Nach dem Ende der
NS-Herrschaft in Deutschland und Europa war dann die Hilfe der Kreuzlinger in Konstanz gefragt, wo Hunderte von
überlebenden jungen Juden eintrafen, die aus verschiedenen deutschen KZ-Aussen-lagern in Süddeutschland befreit worden waren.
Obgleich es seit 1934 Gottesdienste und seit
1939 ein gewisses Gemeindeleben in Kreuzlingen gab,
konnte sich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein normales jüdisches
Leben mit regelmässigen Schabbat-
und Feiertagsgottesdiensten sowie mit Religionsunterricht, kulturellen und
sozialen Aktivitäten entwickeln und zur Blüte gelangen. Doch spätestens seit
den 1980er Jahren begann die Abwanderung nicht nur junger Leute aus Kreuzlingen. Angesichts dessen, dass keine jüngeren
Familien hinzukamen, nahm die biologische Entwicklung mit Alterung,
Überalterung und Todesfällen ihren Lauf, bis die Mitgliederzahl derart
geschrumpft war, dass der Betsaal in der Hafenstrasse
nach den Hohen Feiertagen im September 2009 (5770!) leider aufgegeben werden
musste. Nach einstimmigem Beschluss der Mitgliederversammlung vom 21. Juni 2009
werden zwei Thorarollen einer geeigneten jüdischen Institution als
Dauerleihgabe überlassen und der Thoraschmuck dem Jüdischen Museum Basel. Das
Mobiliar unseres Betsaals wird ebenfalls durch Beschluss der
Mitgliederversammlung dem "Verein für jüdische Geschichte Gailingen
e.V." geschenkt, der beabsichtigt, im früheren jüdischen Schulhaus von
Gailingen eine Gesamtpräsentation des Kreuzlinger
Betsaals zu errichten, womit der 70-jährige Betsaal wohl bestens
"verewigt" wäre. In gewisser Weise schliesst
sich damit ein Kreis, wenn man bedenkt, dass die Israelitische Gemeinde
Konstanz im 19. Jahrhundert nicht zuletzt durch Zuzug aus den jüdischen
Gemeinden Gailingen, Randegg und Wangen entstanden
und die Jüdische Gemeinde Kreuzlingen 1939 wiederum
durch Mitglieder der Israelitischen Gemeinde Konstanz gegründet worden war.
Diese neue Lage wird die weiterbestehende
Jüdische Gemeinde Kreuzlingen jedoch nicht daran
hindern, in anderen Räumlichkeiten weiterhin Gottesdienste sowie andere
religiöse und gesellige Zusammenkünfte abzuhalten. Somit kann man sagen, dass
die Jüdische Gemeinde Kreuzlingen über genau 70 Jahre
ihre Aufgaben voll erfüllt und ihren erstaunlichen Lebenszyklus eines
biblischen Menschenalters vollendet hat (Psalm 90,10). - Die Zahl 70 ist ein
Symbol für diese Welt und wird im Hebräischen durch den Buchstaben Ajin ausgedrückt, der auch Auge, Brunnen, Quell bedeutet,
nach Friedrich Weinreb "ein Brunnen lebendigen
Wassers" - Die kleine schweizerisch-jüdische Gemeinde Kreuzlingen
war durch ihre Gründungsmitglieder und durch ihre geopolitische Lage direkt und
stark vom nationalsozialistischen Grossdeutschen
Reich, von der NS-"Endlösungs"-Politik, vom
Zweiten Weltkrieg und von der NS-Herrschaft in Europa geprägt, hat ihre
zunächst vor allem damit zusammenhängenden und danach ganz typischen Aufgaben
mehr als erfüllt und sich durch ihre äusserst
engagierten langjährig führenden Mitglieder hoch verdient gemacht, was nicht
zuletzt durch die vorliegende Jubiläumsschrift dokumentiert werden soll. Die Im
Jahre 2003 gegründete Stiftung zur
Erhaltung und Pflege des Jüdischen Friedhofs – sichert den Bestand des
Friedhofs und damit nach Regeln der jüdischen Tradition die "ewige
Ruhe" der Toten.
Besprechung des Buches im
Südkurier vom 24.02.2010, Konstanzer Teil Seite 19
Zeugen einer bitteren
Zeit am Grenzzaun
Die reiche jüdische
Geschichte des Bodenseeraums gerät gerne in den Hintergrund, selbst das
Schicksal jüdischer Menschen in der Nazizeit wird oft ins falsche Licht
gerückt. Erhard Roy Wiehn, emeritierter Professor der
Universität Konstanz, arbeitet beständig an der Aufklärung der Zeitgenossen.
Sein neuestes Werk „Jüdische Gemeinde Kreuzlingen“,
das im Hartung-Gorre Verlag Konstanz erscheint, zeigt, wie eng die Geschichte
von Konstanz und Kreuzlingen verwoben ist. So zogen
viele Familien um die Zeit des Ersten Weltkriegs in die Schweiz. Schon Jahre
zuvor hatten in Konstanz wohnende Juden Firmen in der Nachbarstadt gegründet.
Die Mitte des 19.
Jahrhunderts nach langem Verbot wieder gegründete Israelitische Gemeinde
Konstanz weihte 1883 ihre Synagoge in der Sigismundstraße
ein. Sie war auch Anlaufstelle für die Menschen jüdischen Glaubens aus Kreuzlingen. 1910 zählte die Gemeinde 575 Seelen, wie
Erhard Roy Wiehn schreibt. Doch die Hochzeit dauerte
nicht lange: „Nach kräftiger Abwanderung seit Anfang der 30er Jahre wurden die
letzten 108 Konstanzer Jüdinnen und Juden am 22. Oktober 1940 in das
französische Internierungslager Gurs am
nordwestlichen Fuß der Pyrenäen abgeschoben.“ Die Folgen sind bekannt: Viele
starben im Lager oder wurden nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort
ermordet. Die 1939 gegründete Israelitische Gemeinde Kreuzlingen
half den Konstanzer Freunden und Verwandten in Gurs
materiell und moralisch.
Die in Kreuzlingen wohnenden Juden waren ganz nach Konstanz
orientiert. Das änderte sich durch die Nazi-Herrschaft. 1936 entstand in Kreuzlingen die „Jüdische Friedhofs-Gemeinschaft“, da
einige ältere Kreuzlinger nicht mehr in der
Nachbarstadt begraben werden wollten. Ein Jahr später weihte sie den jüdischen
Friedhof in Kreuzlingen-Bernrain ein, als Erster
wurde dort der Konstanzer Anwalt Sigmund Fuchs bestattet.
Als die Synagoge in der
Pogromnacht 1938 total zerstört wurde, „fanden erste Gottesdienste an den Hohen
Feiertagen im Herbst 1938 in Kreuzlingen statt“,
berichtet Wiehn. Die Gründung einer eigenen Gemeinde
mit einem neuen Betsaal in der Hafenstraße war eine logische Folge. Die
NS-Schergen hatten es nach einer langen gemeinsamen Geschichte nötig gemacht.
Dennoch hat sich erst nach dem Krieg ein eigenständiges Gemeindeleben
entwickelt, wie Wiehn berichtet. Die Gemeinde bekam
einen Teil des geretteten Tora-Schmucks der jüdischen
Gemeinde Wangen am Untersee, deren Synagoge ebenfalls 1938 niedergebrannt
wurde. Das Gemeindeleben in Kreuzlingen habe
regelrecht aufgeblüht. Seit den 80er Jahren schrumpfte sie allerdings durch
Abwanderung junger Menschen. Der Betsaal wurde im Jahr 2009 aufgegeben, die
Gemeinde besteht aber weiter.
Erhard Roy Wiehn hat als Herausgeber namhafte Autoren gewonnen. Robert
Wieler etwa, den Mitbegründer der Gemeinde. Bewegend
sind die Zeitdokumente und Schilderungen von Augenzeugen wie Trudy Rothschild: „Ich war die einzige Jüdin im heutigen Ellenrieder-Gymnasium und habe sehr viel gelitten. Niemand
wollte etwas mit mir zu tun haben…“ Diese Erinnerungen an äußerst bittere
Zeiten an der Grenze machen das Buch überaus lesenswert.
Autor: Josef Siebler
Ausgewählte Literatur der Edition Schoáh und Judaica
von Prof. Dr. Erhard Roy Wiehn zum jüdischen Leben
und Leiden in Konstanz,
Kreuzlingen und Südfrankreich
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