Hartung-Gorre Verlag
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Alice Dreifuss Goldstein
Normale Bürger - widrige Zeiten
Herausgegeben vom Deutsch
Israelischen
Arbeitskreis Südlicher Oberrhein e.V.
Aus dem Amerkanischen
übersetzt von Edith DuBose
1. Auflage 2009; XII,
128 Seiten, € 17,50.
ISBN 978-3-86628-252-0, 3-86628-252-4
Das Leben war gut und sah zunehmend besser aus für das jung verheiratete Paar Dreifuss und Töchterchen Alice, die im ländlichen Südwesten Deutschlands lebten. Dann kam Hitler an die Macht, und ihre Welt wurde auf den Kopf gestellt. Diese lebhaft geschilderte Biografie setzt sich mit einem der umwälzenden Geschehnisse des zwanzigsten Jahrhunderts auseinander. Wie überall in Deutschland während der acht Jahre, die dem Holocaust vorausgingen, verwandelten die National-sozialisten die Mitglieder der Familie Dreifuss von geschätzten Freunden und Kollegen ihrer Mitbewohner im Dorf in eine isolierte, dämonisierte Minderheit. Sogar als Kleinkind bekam Alice die Auswirkungen des vom Staat geschürten Antisemitismus zu spüren. Wichtiger aber ist, dass diese Geschichte zeigt, wie seelische Kraft und Glauben die Familie befähigten, während ihres Kampfes um die Ausreise aus Deutschland und beim Aufbau ihres neuen Lebens in Amerika optimistisch und unerschüttert zu bleiben.
Alice Dreifuss Goldstein hat viele demographische Studien mit Schwerpunkt
Bevölkerungsmobilität als Reaktion auf Modernisierung sowie vieles über das
moderne amerikanische Judentum publiziert. Dies ist ihr erstes Buch über ihre
eigene Familie. Nach ihrem Studium am Connecticut College und an der Brown
University arbeitete sie 25 Jahre lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin im
Center für Bevölkerungsstudien an der Brown. Alice ist in mehreren
ehrenamtlichen Organisationen in Rhode Island tätig, darunter das Zentrum für
Holocaustpädagogik und Information, für das sie als Überlebende des Holocaust
in Schulen spricht. Alice ist verheiratet, stolze Mutter von drei Kindern und
Großmutter von sieben Enkelkindern. Sie betrachtet New London in
Connecticut als ihre Heimatstadt.
„Was
aufgeschrieben, veröffentlicht und in einigen Bibliotheken der Welt aufgehoben ist,
wird vielleicht nicht so schnell vergessen.“
(Erhard Roy Wiehn)
Rezension in JUDAICA;
65. Jahrgang; Heft 4/2009; Seiten 377-378 (Dezember 2009):
Das Buch beschreibt den Lebensweg
einer badisch-jüdischen Familie in der Emigration in den USA sowie die
späte(re) Kontaktaufnahme durch eine Bürgerinitiative. Alice Dreifuss wurde als
Tochter eines Ladenbesitzers in Kenzingen in der Nähe von Freiburg geboren. Sie beschreibt ihre Familie und das
gesellschaftliche Umfeld, aber auch den Einbruch der NS-Verfolgung und den
Prozess der gesellschaftlichen Ausgrenzung. Die Familie Dreifuss wohnte an
einem Ort ohne jüdische Gemeinde, hielt aber Kaschrut und Schabbat, d. h. sie
bewahrte trotz ihrer relativen Isolation gegenüber jüdischem Gemeindeleben
durchaus ihre deutsch-jüdische Identität. Nur für die Hohen Feiertage reiste
man nach Freiburg, wo der Familienvater seine Ausbildung erhalten hatte. Alice
Dreifuss beschreibt, wie sie die meisten ihrer vorgeblichen nichtjüdischen
Freunde enttäuschten und sich von ihr mit einer Ausnahme distanzierten. Sie
musste die Jüdische Schule in Freiburg besuchen, die rigoros von der
allgemeinen getrennt war. Am 15. August 1939 wanderte die Familie nach New York
aus. Hier mussten sich ihre Eltern zuerst als Butler und Hausangestellte bei
reichen nichtjüdischen amerikanischen Familien durchschlagen. Immer aber
hielten sie Kontakt zu jüdischen Gemeinden. Alice Goldstein studierte
schliesslich und wurde wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Brown University
am Institut für Demographie (siehe ihre Studie über Altdorf: Determinants of change and response among Jews
and Catholics in a nineteenth century German village, New York
1984). Kulturgeschichtlich interessant sind vor allem die Bemerkungen zum
Brauchtum, wie es in den 1930er Jahren noch immer existierte und gepflegt
wurde. (Uri R. Kaufmann)
Rezension in „Freiburger Rundbrief“ 4/2010, Zeitschrift
für christlich-jüdische Begegnung, Seiten 303-305.
"Bis zu der
Zeit, als Hitler an die Macht kam und die Welt auf den Kopf gestellt wurde, war
das Leben gut und sah zunehmend besser aus", so das Resümée von Alice
Dreifuss Goldstein, der aus Kenzingen (Breisgau) stammenden Autorin. Das Buch
ist eine Biografie, wie sie jüdische Mitbürger in diesen schrecklichen Zeiten
zu Tausenden erleiden mussten. Und doch ist jedes Leben, jedes Schicksal, auf
seine Art einmalig, eine Geschichte für sich. Das kleine Mädchen auf dem
Titelblatt zeigt die Autorin als ein Kind wie alle Kinder dieser Welt: arglos,
neugierig, fröhlich - und trotz aller äußeren Bedrohung -, in der seligen Welt
der Kindheit gefangen. Das Foto wurde im Jahr 1933 aufgenommen, in einer Zeit,
als nichts mehr selbstverständlich war, als jüdische Kinder die immer stärker
werdenden Auswirkungen des Antisemitismus zu spüren bekamen, und ein jüdisches
Kind nicht mehr - wie andere Kinder - unbeschwert Kind sein durfte und konnte.
Diese unmenschliche Zeit hat den Menschen ihr Lebensrecht und ihr Daseinsrecht
genommen in einem Land, das seit Generationen ihre Heimat war. Die
Grausamkeiten hatten zwar viele Varianten, aber im Endeffekt zeigen sie alle,
wie schnell scheinbar Selbstverständliches zerstört werden kann. Alice Dreifuss
Goldstein war sieben Jahr alt, als das Entsetzliche begann. Und es dauerte über
sechzig Jahre, bis sie darüber sprechen und schreiben konnte. Was beweist, dass
Geschehnisse dieser Art nie verjähren können, nie verjähren dürfen.
Der jüdischen
Familie Dreifuss, die seit Generationen fest in ihrer badischen Heimat
integriert war, gelingt nach einer langen, demütigenden Zeit, in der sie in der
immer nationalsozialistischer werdenden Umgebung der Diskriminierung ausgesetzt
war, die rechtzeitige Emigration nach New York, die sie die damals horrende
Summe von 1200 RM kostet. Andere, denen die Ausreise, aus welchen Gründen auch
immer, nicht mehr gelingt, verschwinden in den Vernichtungslagern. Hitlers
Plan, Deutschland judenrein zu machen, scheint aufzugehen. Die Autorin gesteht,
dass sie sich in der geliebten Heimat schließlich verscheucht fühlte "wie
ein räudiger Hund", denn das Kind erfährt in seiner "bis dahin heilen
und guten Welt", wie sehr die Worte "für Juden verboten", die
jetzt überall zu lesen sind, ihr Leben und das ihrer Familie schmälern. Und
während es die Menschen einfach nicht wahrhaben wollen und sich noch um Normalität
bemühen, verschwinden Freunde, Bekannte, Verwandte. Nach der Reichspogromnacht
wird der geliebte Großvater abgeholt. Schließlich fährt die Gestapo in
Kenzingen von Haus zu Haus und holt die Männer. Sie werden nach Dachau
gebracht. Viele kommen nicht wieder und die, die zurückkommen, sind an Leib und
Seele gebrochen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie alle an der Reihe
sind. Für die Familie der kleinen Alice wird das beinah Unmögliche möglich -
die Auswanderung nach Amerika gelingt in letzter Minute. Mit 15 Dollar
Anfangskapital beginnt das neue Leben. Bis 1940 wohnen die zurückgebliebenen
Familienmitglieder noch in Kenzingen, dann werden auch sie abgeholt und landen
mit über 6000 Juden aus Süddeutschland im berüchtigten Lager Gurs - und von dort
in den Vernichtungslagern.
Dieses Buch
"von den widrigen Zeiten" entstand nach 60 Jahren schmerzlicher
Erinnerung. Und es ist gut und notwendig, "dass man sich erinnert, weil
"Not-wendend". Die Autorin studierte am Connecticut College und
arbeitet am "Center für Bevölkerungsstudien" .
Als Überlebende des Holocaust wird sie oft gebeten, vor Schulklassen zu
sprechen. Sicher, in Amerika hat sie eine neue Heimat gefunden, aber sie hat
die alte nicht vergessen. Das Buch "von den widrigen Zeiten" ist ein
wichtiges Buch, denn es zeigt deutlich, wie sehr sich Juden bis zuletzt gemüht
haben, in dieser widrigen Zeit "normale Bürger" zu sein und zu
bleiben.
Maria Stiefl-Cermak, Freiburg
Die folgenden Titel sind
ebenfalls herausgegeben vom
Deutsch Israelischen
Arbeitskreis Südlicher Oberrhein e.V.
Inge
Auerbacher
Nach
Theresienstadt ein neues
Leben in Amerika für die Versöhnung
Herausgegeben von
Erhard Roy Wiehn
2.
Auflage 2019. 144 Seiten. € 14,80,
ISBN
3-89649-969-6
Inge Auerbacher
22 Gedichte zu Ich bin ein Stern
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Bruckner,
bearbeitet von Andrea Meller,
1. Auflage 2015. 52 Seiten, € 8,90. 978-3-86628-512-5
Weiterhin aktuell
sind die folgenden von Erhard Roy Wiehn herausgegebenen Titel:
Jüdische Überlebens- und Nichtüberlebensschicksale
in Deutschland
Zum Inhaltsverzeichnis der
Edition / to the contents of the edition Shoáh & Judaica / Jewish Studies
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