Margit Bartfeld-Feller
Mama Cilly
Erinnerungen an meine Mutter
in Czernowitz und Sibirien
Mit
Beiträgen von Othmar Bartfeld und Ilana Shmueli
Herausgegeben von Erhard Roy Wiehn
1.
Aufl. Konstanz 2009, 88 Seiten. € 14,80, ISBN 3-86628-273-7
Hartung-Gorre Verlag ; D-78465 Konstanz
Telefon: +49 (0) 7533 97227 ; Telefax: 97228
http://www.hartung-gorre.de
eMail:
verlag@hartung-gorre.de
Ein
gesegnetes Vermächtnis (Auszüge aus dem Vorwort zum Buch)
Auf Vaters Schreibtisch
im Büro stand ein eingerahmtes Foto, das ein anziehendes Profil einer jungen,
attraktiven Frau wiedergab und mit drei Worten: "Eine schöne
Unbekannte" lakonisch beschriftet war (Seite 19). Mit diesem Scherz
irritierte Vater manchmal Leute, die nicht wußten, daß es seine Cillyka, unsere
Mutter war...
Einmal betrat ein Geschäftsfreund aus
Bukarest zum ersten Mal Vaters Büro. Fasziniert konnte er seinen Blick nicht
mehr vom Foto der "schönen Unbekannten" abwenden. Begeistert bat er
Vater, ihn darüber aufzuklären. Freundlich schmunzelnd lud mein Papa seinen nichtsahnenden Geschäftsfreund als Gast nach Hause ein.
Doch als es an der Wohnungstür klingelte, die "schöne Unbekannte"
selbst dem Besucher die Tür öffnete, dieser dann verblüfft und wie angewurzelt
vor Mutter stehen blieb, verstand Vater sofort, daß
ihm sein Scherz gelungen war.
Die Liebe meines Vaters zu seiner schönen
Frau war unendlich groß...
Als der Gymnasiast Moritz Bartfeld in das
Haus der Familie Reitmann einquartiert wurde, war Cillyka
erst drei Jahre alt. Schon damals erklärte er in vollstem Ernst, daß er nur Cilly heiraten und solange auf sie warten werde.
Die Postkarte mit Vaters Foto in der Uniform
seines K.u.K. Infanterie-Regiments und einer langen
Widmung auf der Rückseite (S. 8) erreichte seine Cillyka
im Jahre 1918, knapp vor Ende des Ersten Weltkrieges.
Viele Jahrzehnte konnte ich die gotische
Schrift der Widmung nicht entziffern. Erst im Jahre 2001, als ich mich in
Freiburg an der Tagung "Frauen im Exil" beteiligte, traf ich dort
eine sehr liebe ältere Lehrerin: Gisela Strasburger
konnte Vaters Handschrift lesen! Ich erfuhr nun endlich, daß
die Widmung eigentlich ein rührendes Liebesgedicht meines Vaters an seine Cilly
war: (S. 7).
Mama Cilly (Cecilia Reitmann, 14.11.1901 – 21.04.1998) wuchs in einer
einfachen, bürgerlichen, jüdischen Familie als Älteste von fünf Geschwistern
auf und zog mit ihrem Liebreiz, ihrer Güte und Hilfsbereitschaft alle Herzen
an, die sie umgaben. Sie wurde eine Frau, die sich im Laufe ihres schweren
Lebens tapfer und unbetrübt durchkämpfte. Sie besaß eine bewundernswerte
seelische Kraft und einen nie erlahmenden Mut.
Mama Cillys Jugend war von der Vielfalt der
musikalischen und literarischen Ereignisse ihrer Familie geprägt. Es war eine
Einfühlsamkeit, die sie immerfort begleitete und bei ihr ein fast stetes
Glücksgefühl erweckte. Ich bin mir bis heute nicht im klaren, woher dieser
außergewöhnliche Hang zum Geistigen kam, die Neigung zum Schönen in
verschiedensten Formen, die Tendenz zum künstlerischen Ausdruck, besonders
durch Lieder, Arien aus Opern oder Operetten, aber auch durch verschiedene
Volksweisen, Balladen und Gedichte.
Als hochbetagte Frau deklamierte sie noch
1992 in der Prüfung der "Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und
Kulturkreis" Gedichte von Heine und Goethe, Balladen von Schiller und sang
mit leiser Stimme die "Lorelei". In ihrem
freien Aufsatz schrieb sie damals: "Ich dachte nie, daß
ich in meinem Alter noch eine Prüfung ablegen werde. Es bereitete mir aber große
Freude, weil ich die Gelegenheit hatte, mich an die Jugend zu erinnern."
Schon in frühster Jugend, zeigte sich auch Cillykas beachtenswertes Talent zur Schneiderei, was sie
mit der Anfertigung von allerlei Kleidungsstücken für ihre Mutter und Geschwister
bewies. Als Otti und ich heranwuchsen, besuchte Mutter einen Schneidersalon, um
sich in diesem Fach zu vervollständigen und um ihren Kindern die Kleidung
selbst nähen zu können. Damals konnte sie gar nicht ahnen, daß
ihre Nähkunst in der sibirischen Verbannung unsere Rettung sein würde.
Als unsere Familie im Juni 1940 ganz
plötzlich und völlig unvorhergesehen nach Sibirien zwangsdeportiert wurde, sah
sich Mama Cilly gezwungen, nach Vaters frühem Tod statt am Unglück zu
zerbrechen, das Leben von uns Kindern in die eigene Hand zu nehmen, unsere
Stütze und unser Rückgrat zu werden (dazu S. 56). Durch die leidvollen
Erfahrungen in Sibirien aktivierten und verstärkten sich die verborgenen Kräfte
ihrer Seele. Ein wichtiger Hinweis auf Mutters Stärke war auch ihre
aufrichtige Anteilnahme am Schicksal anderer in Not geratener Menschen.
Im Jahre 1996 erschien mein erstes Buch Dennoch Mensch geblieben (Hartung-Gorre
Verlag, Konstanz). Mutter saß fast täglich früh morgens mit diesem kleinen
Bändchen in der Hand in Tel Aviv auf der Veranda am
Fenster und las mit Andacht meine Kurzgeschichten aus Czernowitz
und aus der sibirischen Verbannung. Lächelnd meinte sie: "Das ist mein 'Siderl'!" (Sidur
-Gebetbuch). Mama Cilly war auch bei der Präsentation dieses Buches hier in Tel Aviv stolz und zufrieden dabei (Foto S. 57);
anschließend schrieb sie mir mit fester Hand in schöner Schrift folgende Worte
zum Andenken:
Nach so viel Leid in meinem Leben, ist
es plötzlich so hell und schön geworden. Es war der schönste und der
erfolgreichste Nachmittag meiner Margit. Hilf Gott auf ihren weiteren Wegen.
Mama.
Und:
Richte nie den Wert der Menschen in
kurzer Stund.
Oben sind bewegte Wellen, doch die
Perle liegt am Grund.
Mama Cillys Worte machen
mich glücklich und bleiben für immer ein liebenswürdiges, nobles, gesegnetes
Vermächtnis.
Margit Bartfeld-Feller Tel
Aviv, 18. August 2009
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2002,
270 Seiten, 30,95 €.
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sein. Geschichten aus Czernowitz und Israel.
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deportiert. Jüdische Schicksale 1941-1944.
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